Ein Porträt über Bernhard Echte mag leicht die Seiten eines Buches füllen. Es ist nicht einfach die Hingabe dieses Mannes an die Kunst, sei es literarische oder bildende und im Speziellen an das Buch, umfassend zu beschreiben. Mit Sorgfalt und Geduld widmet er sich seinen Projekten, die ihn manchmal mehrere Jahre, gar Jahrzehnte, in Anspruch nehmen. Ihn interessieren Werke, die menschlich der intensivsten Befassung bedürfen. Der schnelle Schuss und der kommerzielle Coup locken ihn nicht.
Text & Bild: Ingrid Eva Liedtke
Die nicht einfach zugänglichen Werke und Künstler haben es Bernhard Echte angetan, im Besonderen Robert Walser und auch Friedrich Glauser. Sie bewegten sich oft am Rande der Gesellschaft und des Wahnsinns, aber auch die Faszination des freien Geistes manifestierte sich in ihnen und verhalf ihnen posthum zu einer grossen Zahl Anhänger und Bewunderer. Darum ist die Villa zum Abendstern in Wädenswil so etwas wie ein kleiner Wallfahrtsort für Robert-Walser-Anhänger geworden.
Die Villa zum Abendstern
Im Garten der Villa zum Abendstern beginnen wir unseren Rundgang – durch das Haus und Robert Walsers Geschichte und Bernhard Echtes Leben.
Bernhard Echte erwarb Ende der 1990er-Jahre die baufällige und eigentlich zum Abriss vorgesehene «Villa zum Abendstern» in Wädenswil. Der Wohnsitz des Technikers und Erfinders Carl Dubler, als dessen Assistent der junge Robert Walser 1903 eine Zeit lang tätig war und in deren Turmzimmer er wohnte, sollte auf keinen Fall dem Untergang anheimfallen. Echte renovierte das Gebäude, das als Schauplatz von Robert Walsers Roman «Der Gehülfe» (1908) in die Literaturgeschichte eingegangen ist mit viel Eigenleistung und der Hilfe von Walser-Fans. Das dazugehörende Gartenhäuschen wurde 2006 mit Unterstützung vonPro Patria saniert und 2012 auf einer Briefmarke der Schweizerischen Post abgebildet.
Es ist Anfang März. Die Sonne scheint und man kann sich schon vorstellen, wie idyllisch der Garten bald sein wird, wenn die Obstbäume blühen und alle Spaliere, die das Nachbargrundstück abtrennen, begrünt sind. Auch dieses Grundstück hat Echte einst erstanden, um die Umgebung der Villa zum Abendstern zu schützen. Mit einem Holzbauer hat er ein Projekt lanciert, um es mit zwei Minergiehäusern zu bebauen, damit die Villa Protagonisten hat und nicht nur, wie weitherum, mehrstöckige Mehrfamilienblöcke. Erstaunlich, was man ohne Kapital, aber mit viel Idealismus und Überzeugungskraft erreichen kann. «Ich fühle mich unglaublich privilegiert an diesem literarischen Ort zu leben.»
Robert Walser
Wir betreten das Haus. Auf einem Mauervorsprung, gleich neben der Tür, steht eine Ausgabe des «Gehülfen». Bernhard Echte liest mir die erste Seite vor – in schönem, astreinem Hochdeutsch. Der Text führt uns direkt die Treppe hinunter in das ehemalige Kontor, wo Robert Walser gearbeitet hatte. Da sieht es noch aus wie damals, alles ist an seinem Platz. Nur auf dem alten Holzschreibtisch steht ein Laptop. Damit erledigt Echte alle Verlagsarbeiten.
«Robert Walser ist mir zum Schicksal geworden», erzählt Echte, während wir in dessen Büro stehen, umgeben von Regalen voller Bücher.
«Ich habe einen grossen Teil meines Lebens in den Dienst dieses Mannes gestellt. 20 Jahre lang habe ich seine Mikrogramme übersetzt, und nun lebe ich sozusagen in seinem Roman.»
Die Begegnung mit Robert Walsers Werk und die Faszination für dessen Schreiben kann man als Schlüsselmoment im Leben des jungen Bernhard Echte sehen. Walsers Freiheitsdrang und die Verweigerung, sich Konventionen zu unterwerfen, waren für ihn überwältigend. Walser war für ihn, wie er sagt, «ein glühendes Rätsel», das er ergründen wollte. Das Mysterium, dass Genie und Wahnsinn so nah beieinander liegen, sollte ihn immer wieder beschäftigen.
Die literarische Seuche
Bernhard Echte ist in einem Elternhaus aufgewachsen, das sich den Naturwissenschaften verschrieben hatte. Literatur galt eher als Geschwätz. Echte studierte zuerst Medizin, als er sich, inspiriert von Walser, dazu entschloss die Medizin sausen zu lassen und stattdessen Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie zu studieren.
«Das war eigentlich eine fahrlässige Entscheidung, ohne eine Berufsidee dahinter, sondern aus einer inneren Notwendigkeit heraus. Mich hatte die literarische Seuche gepackt.»
Echte studierte in Tübingen, als er von einem Skandal im Robert-Walser-Archiv in Zürich hörte. Kurzerhand stieg er auf sein Fahrrad und fuhr von Tübingen nach Zürich, um zu erfahren, was da los war. Zuerst wurde er schroff abgewiesen, aber nach mehreren Versuchen dann doch von Dr. Fröhlich, dem damaligen Stiftungspräsidenten empfangen. «Da passierte etwas», erzählt er, noch heute leicht erstaunt. «Wir konnten einfach sofort miteinander. Nach fünf Minuten wurde mir schon ein Job angeboten. Ich sollte Walsers Mikrogramme entziffern. Eine grosse Aufgabe! Ich gab mal ein Urlaubssemester ein.» Er schmunzelt über seinen damaligen Enthusiasmus.
Echte zeigt mir Walsers Mikrogramme. Die Schrift ist so klein, ohne Lupe nicht zu entziffern, mit Bleistift geschriebene Manuskriptseiten in nur 1 bis 2 Millimeter grossen Kurrent-Buchstaben. Auf den ersten Blick wirkt es wie zwanghaftes Gekritzel.
Es ist schwer vorstellbar, wie jemand diese Geduld aufbringen kann, dies zu entziffern. Es scheint, als wollte Bernhard Echte dadurch die Person Walser entschlüsseln, ihn nicht einfach als psychisch krank vorverurteilen, ihm posthum diese Konvention ersparen.
Mit viel Geduld und Akribie, mit Forscherwille und Herzblut, machte sich Bernhard Echte an die Arbeit, die 20 Jahre dauern sollte (während vierzehn Jahren zusammen mit Werner Morlang, 1949–2015). In mehreren Durchgängen wurde die Schrift entziffert, transkribiert und in sechs Bänden («Aus dem Bleistiftgebiet» 1985–2000) herausgegeben.
Faszination und Begeisterung sind spürbar, wenn Echte über die Arbeit an Walsers Werk spricht: «Die früheren Romanmanuskripte Robert Walsers waren kalligrafische Meisterwerke, direkt ins Reine geschrieben, im immer gleichen Rhythmus! Doch dann hatte Walser in einer Krise den Federhalter weggelegt. Der Bleistift hat ihm neue Qualität und Kreativität gegeben: Das Schreiben damit, in so kleiner Schrift, bedingt eine hohe Konzentrations- und Entspannungsleistung und völlige Geistesgegenwart. Das ist heute kaum noch vorstellbar. Dabei ist nichts Zwanghaftes. Das ist Kunst. Es ist eher ein Tanz. ‹Unglaublich lebendig›, wie einst Elias Canetti meinte.»
«Zu dieser Zeit kam es zu einem Paradigmenwechsel», so Echte. «Man hat den Blick auf die verkannten Künstler gerichtet, und auch die Alten wurden wieder ausgebuddelt. Im Leben verkannt, wurde Robert Walser post mortem, wie so mancher Künstler, zu einer Person, die Menschen auf der ganzen Welt faszinierte. Walsers Werk wurde in 36 Sprachen übersetzt, auch ins Japanische. Gerade die Japaner interessieren sich sehr für die kalligrafische Qualität der Mikrogramme. Und so steht auch dann und wann ein Student vor der Villa zum Abendstern, um zu sehen, wo sein Idol einst lebte. Echte zeigt ihnen dann gerne das Turmzimmer, wo Walser einst wohnte, oder lädt die eigentlich ungebetenen Gäste zu Tisch.
Berufliche Entwicklung
Ab 1981 war Bernhard Echte also Mitarbeiter des Robert-Walser-Archivs bzw. von Projekten der Robert-Walser-Stiftung. Für seine berufliche Entwicklung sei dies Fluch und Segen gewesen. Der Job war schlecht bezahlt, nur eine Halbtagesstelle, doch es wirkte sich segensreich aus, dass er, nach ähnlichen Betätigungsfeldern oder Persönlichkeiten suchend, auf Friedrich Glauser stiess – auch dies ein Psychiatrieschicksal, ein Süchtiger, von dem es einen Briefwechsel mit Robert Walser gibt.
Es entstand die Edition Glauser, ein Parallelobjekt in 13 Bänden.
Darüber hinaus hat Bernhard Echte auch Werke mehrerer anderer Autoren (wie z.B. Marieluise Fleisser, Hugo Ball, Emmy Hennings, Rudolf Utzinger, Franz Hessel) ediert.
Wie entlang einem roten Faden führen Echtes Projekte ineinander über. Aus dem einen ergibt sich das nächste. 1995 bis Ende 2006 war Echte Geschäftsführer des Robert-Walser-Archivs. Darum ist er in die Schweiz gekommen und geblieben.
«Doch in den 90er-Jahren war es dann auch mal genug», fand Bernhard Echte, und so ergab es sich, dass er begann Ausstellungen zu organisieren. Er hat viele Ausstellungen konzipiert, literarische wie künstlerische, Ausstellungen über Jean Paul, Robert Walser, Emmy Hennings und auch bildende Künstler wie Max Oppenheimer und Karl Walser. Gleichzeitig hat er angefangen die Ausstellungskataloge selber zu produzieren und gründete 1996 den Verlag Nimbus Kunst und Bücher.
«Der PC ermöglichte es mir überhaupt einen Verlag im Alleingang und ohne Kapital zu gründen. Von der Grafik über das Layout konnte ich alles selber machen. Die grossen Verlage waren da viel schwerfälliger und konnten sich nicht so leicht den immer neuen Programmen anpassen.»
Den Verlag Nimbus Kunst und Bücher gibt es immer noch, und es werden Bücher, auch ganze Serien, auf sehr anspruchsvollem Qualitätsniveau produziert.
Der Verlag Nimbus Kunst und Bücher
Bernhard Echte ist Gründer, Mehrheitsaktionär und Verleger des Kleinverlags Nimbus, Kunst und Bücher.
2006 hat sich Echte ganz seinem Verlag zugewandt und publiziert hochwertige Kunst- und Fotobände sowie ausgewählte Ausstellungskataloge und belletristische Titel. Besonderes Aufsehen erregte die bislang sechsbändige Dokumentation zum Kunstsalon Cassirer. Es werden auch immer wieder Bücher mit Lokalbezug realisiert.
Es ist wohl dieses Herzblut, aber auch diverse praktische Eigenschaften, die, wie Echte sagt, ein Verleger in sich vereinen muss. Sie sind aber heutzutage kaum noch zu finden, schon gar nicht, wenn man nur für ein Butterbrot arbeiten sollte. Echte macht sich Gedanken um seine Nachfolge und dabei auch über den Buchmarkt. Manchmal dringt da ein wenig Bitterkeit – oder ist es Wut? – durch, wenn er an seine Zukunft denkt oder an die momentan so schwierige Lage, die auch in normalen Zeiten schon genug schwer ist. Die Verlage seien in der kulturellen Schweiz das Stiefkind und hätten es besonders schwer.
Er spricht auch von einer gewissen Verarmung, die uns drohe. Dieser Wille, sich einer Sache ganz zu verschreiben, dabei zu bleiben, zu forschen, sich ganz darauf zu konzentrieren, der sei heutzutage immer schwieriger aufzufinden. Man könne sich so leicht ablenken.
Doch genau diese Fähigkeiten brauche es auch zukünftig, um befähigt zu sein weiter zu lernen und sich der sich laufend verändernden Welt mit ihren neuen Anforderungen anzupassen.
«Beim Lesen werden diese Fähigkeiten gefördert. Dabei müssen wir uns auch mit uns selbst auseinandersetzen, weil wir uns immer im Dialog mit dem Gelesenen befinden und uns so selber auch verorten.»
Bernhard Echtes Hoffnung ist es, mit dem Buch, dem seine Liebe gilt, den Menschen eine Orientierung zu geben.
Wie lange er dies noch tun wird? Ein paar Jahre noch! Ein Nachfolger ist nicht in Sicht.
Was wird er dann tun? Was tut er in seiner Freizeit? «Ich mache Bücher!»
Bücher mit Lokalbezug
Der Fotoband von Martin Linsi ist Ende Februar erschienen, und es gibt darin relativ viele Bilder von Wädenswil und Umgebung. Ebenso ist der voluminöse Briefwechsel von Oskar Schlemmer und Otto Meyer-Amden realisiert worden, der in Wädenswil endet, da Otto Meyer-Amden hier die letzten drei Monate seines Lebens verbrachte: Er wurde hier von seinem langjährigen Malerfreund Hermann Huber und dessen Frau gepflegt. Das Chalet im Maiacher, wo Huber wohnte, wurde denn auch abgebildet, ebenso das Couvert des letzten Briefes von Schlemmer mit der Adress-Angabe Au-Wädenswil. Bernhard Echte: «Es ist eine sehr anrührende Sache für mich, dass sich mit der Herausgabe dieser epochalen Korrespondenz in einem Wädenswiler Verlag gewissermassen ein Kreis schliesst.»
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Ein Porträt über Bernhard Echte mag leicht die Seiten eines Buches füllen. Es ist nicht einfach die Hingabe dieses Mannes an die Kunst, sei es literarische oder bildende und im Speziellen an das Buch, umfassend zu beschreiben. Mit Sorgfalt und Geduld widmet er sich seinen Projekten, die ihn manchmal mehrere Jahre, gar Jahrzehnte, in Anspruch nehmen. Ihn interessieren Werke, die menschlich der intensivsten Befassung bedürfen. Der schnelle Schuss und der kommerzielle Coup locken ihn nicht.
Text & Bild: Ingrid Eva Liedtke
Die nicht einfach zugänglichen Werke und Künstler haben es Bernhard Echte angetan, im Besonderen Robert Walser und auch Friedrich Glauser. Sie bewegten sich oft am Rande der Gesellschaft und des Wahnsinns, aber auch die Faszination des freien Geistes manifestierte sich in ihnen und verhalf ihnen posthum zu einer grossen Zahl Anhänger und Bewunderer. Darum ist die Villa zum Abendstern in Wädenswil so etwas wie ein kleiner Wallfahrtsort für Robert-Walser-Anhänger geworden.
Die Villa zum Abendstern
Im Garten der Villa zum Abendstern beginnen wir unseren Rundgang – durch das Haus und Robert Walsers Geschichte und Bernhard Echtes Leben.
Bernhard Echte erwarb Ende der 1990er-Jahre die baufällige und eigentlich zum Abriss vorgesehene «Villa zum Abendstern» in Wädenswil. Der Wohnsitz des Technikers und Erfinders Carl Dubler, als dessen Assistent der junge Robert Walser 1903 eine Zeit lang tätig war und in deren Turmzimmer er wohnte, sollte auf keinen Fall dem Untergang anheimfallen. Echte renovierte das Gebäude, das als Schauplatz von Robert Walsers Roman «Der Gehülfe» (1908) in die Literaturgeschichte eingegangen ist mit viel Eigenleistung und der Hilfe von Walser-Fans. Das dazugehörende Gartenhäuschen wurde 2006 mit Unterstützung von Pro Patria saniert und 2012 auf einer Briefmarke der Schweizerischen Post abgebildet.
Es ist Anfang März. Die Sonne scheint und man kann sich schon vorstellen, wie idyllisch der Garten bald sein wird, wenn die Obstbäume blühen und alle Spaliere, die das Nachbargrundstück abtrennen, begrünt sind. Auch dieses Grundstück hat Echte einst erstanden, um die Umgebung der Villa zum Abendstern zu schützen. Mit einem Holzbauer hat er ein Projekt lanciert, um es mit zwei Minergiehäusern zu bebauen, damit die Villa Protagonisten hat und nicht nur, wie weitherum, mehrstöckige Mehrfamilienblöcke. Erstaunlich, was man ohne Kapital, aber mit viel Idealismus und Überzeugungskraft erreichen kann. «Ich fühle mich unglaublich privilegiert an diesem literarischen Ort zu leben.»
Robert Walser
Wir betreten das Haus. Auf einem Mauervorsprung, gleich neben der Tür, steht eine Ausgabe des «Gehülfen». Bernhard Echte liest mir die erste Seite vor – in schönem, astreinem Hochdeutsch. Der Text führt uns direkt die Treppe hinunter in das ehemalige Kontor, wo Robert Walser gearbeitet hatte. Da sieht es noch aus wie damals, alles ist an seinem Platz. Nur auf dem alten Holzschreibtisch steht ein Laptop. Damit erledigt Echte alle Verlagsarbeiten.
«Robert Walser ist mir zum Schicksal geworden», erzählt Echte, während wir in dessen Büro stehen, umgeben von Regalen voller Bücher.
«Ich habe einen grossen Teil meines Lebens in den Dienst dieses Mannes gestellt. 20 Jahre lang habe ich seine Mikrogramme übersetzt, und nun lebe ich sozusagen in seinem Roman.»
Die Begegnung mit Robert Walsers Werk und die Faszination für dessen Schreiben kann man als Schlüsselmoment im Leben des jungen Bernhard Echte sehen. Walsers Freiheitsdrang und die Verweigerung, sich Konventionen zu unterwerfen, waren für ihn überwältigend. Walser war für ihn, wie er sagt, «ein glühendes Rätsel», das er ergründen wollte. Das Mysterium, dass Genie und Wahnsinn so nah beieinander liegen, sollte ihn immer wieder beschäftigen.
Die literarische Seuche
Bernhard Echte ist in einem Elternhaus aufgewachsen, das sich den Naturwissenschaften verschrieben hatte. Literatur galt eher als Geschwätz. Echte studierte zuerst Medizin, als er sich, inspiriert von Walser, dazu entschloss die Medizin sausen zu lassen und stattdessen Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie zu studieren.
«Das war eigentlich eine fahrlässige Entscheidung, ohne eine Berufsidee dahinter, sondern aus einer inneren Notwendigkeit heraus. Mich hatte die literarische Seuche gepackt.»
Echte studierte in Tübingen, als er von einem Skandal im Robert-Walser-Archiv in Zürich hörte. Kurzerhand stieg er auf sein Fahrrad und fuhr von Tübingen nach Zürich, um zu erfahren, was da los war. Zuerst wurde er schroff abgewiesen, aber nach mehreren Versuchen dann doch von Dr. Fröhlich, dem damaligen Stiftungspräsidenten empfangen. «Da passierte etwas», erzählt er, noch heute leicht erstaunt. «Wir konnten einfach sofort miteinander. Nach fünf Minuten wurde mir schon ein Job angeboten. Ich sollte Walsers Mikrogramme entziffern. Eine grosse Aufgabe! Ich gab mal ein Urlaubssemester ein.» Er schmunzelt über seinen damaligen Enthusiasmus.
Echte zeigt mir Walsers Mikrogramme. Die Schrift ist so klein, ohne Lupe nicht zu entziffern, mit Bleistift geschriebene Manuskriptseiten in nur 1 bis 2 Millimeter grossen Kurrent-Buchstaben. Auf den ersten Blick wirkt es wie zwanghaftes Gekritzel.
Es ist schwer vorstellbar, wie jemand diese Geduld aufbringen kann, dies zu entziffern. Es scheint, als wollte Bernhard Echte dadurch die Person Walser entschlüsseln, ihn nicht einfach als psychisch krank vorverurteilen, ihm posthum diese Konvention ersparen.
Mit viel Geduld und Akribie, mit Forscherwille und Herzblut, machte sich Bernhard Echte an die Arbeit, die 20 Jahre dauern sollte (während vierzehn Jahren zusammen mit Werner Morlang, 1949–2015). In mehreren Durchgängen wurde die Schrift entziffert, transkribiert und in sechs Bänden («Aus dem Bleistiftgebiet» 1985–2000) herausgegeben.
Faszination und Begeisterung sind spürbar, wenn Echte über die Arbeit an Walsers Werk spricht: «Die früheren Romanmanuskripte Robert Walsers waren kalligrafische Meisterwerke, direkt ins Reine geschrieben, im immer gleichen Rhythmus! Doch dann hatte Walser in einer Krise den Federhalter weggelegt. Der Bleistift hat ihm neue Qualität und Kreativität gegeben: Das Schreiben damit, in so kleiner Schrift, bedingt eine hohe Konzentrations- und Entspannungsleistung und völlige Geistesgegenwart. Das ist heute kaum noch vorstellbar. Dabei ist nichts Zwanghaftes. Das ist Kunst. Es ist eher ein Tanz. ‹Unglaublich lebendig›, wie einst Elias Canetti meinte.»
«Zu dieser Zeit kam es zu einem Paradigmenwechsel», so Echte. «Man hat den Blick auf die verkannten Künstler gerichtet, und auch die Alten wurden wieder ausgebuddelt. Im Leben verkannt, wurde Robert Walser post mortem, wie so mancher Künstler, zu einer Person, die Menschen auf der ganzen Welt faszinierte. Walsers Werk wurde in 36 Sprachen übersetzt, auch ins Japanische. Gerade die Japaner interessieren sich sehr für die kalligrafische Qualität der Mikrogramme. Und so steht auch dann und wann ein Student vor der Villa zum Abendstern, um zu sehen, wo sein Idol einst lebte. Echte zeigt ihnen dann gerne das Turmzimmer, wo Walser einst wohnte, oder lädt die eigentlich ungebetenen Gäste zu Tisch.
Berufliche Entwicklung
Ab 1981 war Bernhard Echte also Mitarbeiter des Robert-Walser-Archivs bzw. von Projekten der Robert-Walser-Stiftung. Für seine berufliche Entwicklung sei dies Fluch und Segen gewesen. Der Job war schlecht bezahlt, nur eine Halbtagesstelle, doch es wirkte sich segensreich aus, dass er, nach ähnlichen Betätigungsfeldern oder Persönlichkeiten suchend, auf Friedrich Glauser stiess – auch dies ein Psychiatrieschicksal, ein Süchtiger, von dem es einen Briefwechsel mit Robert Walser gibt.
Es entstand die Edition Glauser, ein Parallelobjekt in 13 Bänden.
Darüber hinaus hat Bernhard Echte auch Werke mehrerer anderer Autoren (wie z.B. Marieluise Fleisser, Hugo Ball, Emmy Hennings, Rudolf Utzinger, Franz Hessel) ediert.
Wie entlang einem roten Faden führen Echtes Projekte ineinander über. Aus dem einen ergibt sich das nächste. 1995 bis Ende 2006 war Echte Geschäftsführer des Robert-Walser-Archivs. Darum ist er in die Schweiz gekommen und geblieben.
«Doch in den 90er-Jahren war es dann auch mal genug», fand Bernhard Echte, und so ergab es sich, dass er begann Ausstellungen zu organisieren. Er hat viele Ausstellungen konzipiert, literarische wie künstlerische, Ausstellungen über Jean Paul, Robert Walser, Emmy Hennings und auch bildende Künstler wie Max Oppenheimer und Karl Walser. Gleichzeitig hat er angefangen die Ausstellungskataloge selber zu produzieren und gründete 1996 den Verlag Nimbus Kunst und Bücher.
«Der PC ermöglichte es mir überhaupt einen Verlag im Alleingang und ohne Kapital zu gründen. Von der Grafik über das Layout konnte ich alles selber machen. Die grossen Verlage waren da viel schwerfälliger und konnten sich nicht so leicht den immer neuen Programmen anpassen.»
Den Verlag Nimbus Kunst und Bücher gibt es immer noch, und es werden Bücher, auch ganze Serien, auf sehr anspruchsvollem Qualitätsniveau produziert.
Der Verlag Nimbus Kunst und Bücher
Bernhard Echte ist Gründer, Mehrheitsaktionär und Verleger des Kleinverlags Nimbus, Kunst und Bücher.
2006 hat sich Echte ganz seinem Verlag zugewandt und publiziert hochwertige Kunst- und Fotobände sowie ausgewählte Ausstellungskataloge und belletristische Titel. Besonderes Aufsehen erregte die bislang sechsbändige Dokumentation zum Kunstsalon Cassirer. Es werden auch immer wieder Bücher mit Lokalbezug realisiert.
Es ist wohl dieses Herzblut, aber auch diverse praktische Eigenschaften, die, wie Echte sagt, ein Verleger in sich vereinen muss. Sie sind aber heutzutage kaum noch zu finden, schon gar nicht, wenn man nur für ein Butterbrot arbeiten sollte. Echte macht sich Gedanken um seine Nachfolge und dabei auch über den Buchmarkt. Manchmal dringt da ein wenig Bitterkeit – oder ist es Wut? – durch, wenn er an seine Zukunft denkt oder an die momentan so schwierige Lage, die auch in normalen Zeiten schon genug schwer ist. Die Verlage seien in der kulturellen Schweiz das Stiefkind und hätten es besonders schwer.
Er spricht auch von einer gewissen Verarmung, die uns drohe. Dieser Wille, sich einer Sache ganz zu verschreiben, dabei zu bleiben, zu forschen, sich ganz darauf zu konzentrieren, der sei heutzutage immer schwieriger aufzufinden. Man könne sich so leicht ablenken.
Doch genau diese Fähigkeiten brauche es auch zukünftig, um befähigt zu sein weiter zu lernen und sich der sich laufend verändernden Welt mit ihren neuen Anforderungen anzupassen.
«Beim Lesen werden diese Fähigkeiten gefördert. Dabei müssen wir uns auch mit uns selbst auseinandersetzen, weil wir uns immer im Dialog mit dem Gelesenen befinden und uns so selber auch verorten.»
Bernhard Echtes Hoffnung ist es, mit dem Buch, dem seine Liebe gilt, den Menschen eine Orientierung zu geben.
Wie lange er dies noch tun wird? Ein paar Jahre noch! Ein Nachfolger ist nicht in Sicht.
Was wird er dann tun? Was tut er in seiner Freizeit? «Ich mache Bücher!»
Bücher mit Lokalbezug
Der Fotoband von Martin Linsi ist Ende Februar erschienen, und es gibt darin relativ viele Bilder von Wädenswil und Umgebung. Ebenso ist der voluminöse Briefwechsel von Oskar Schlemmer und Otto Meyer-Amden realisiert worden, der in Wädenswil endet, da Otto Meyer-Amden hier die letzten drei Monate seines Lebens verbrachte: Er wurde hier von seinem langjährigen Malerfreund Hermann Huber und dessen Frau gepflegt. Das Chalet im Maiacher, wo Huber wohnte, wurde denn auch abgebildet, ebenso das Couvert des letzten Briefes von Schlemmer mit der Adress-Angabe Au-Wädenswil. Bernhard Echte: «Es ist eine sehr anrührende Sache für mich, dass sich mit der Herausgabe dieser epochalen Korrespondenz in einem Wädenswiler Verlag gewissermassen ein Kreis schliesst.»