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An Worten wachsen – gemeinsam Literatur entdecken

Beim sogenannten Shared Reading wird in der Gruppe ein Text laut vorgelesen. Der daraus folgende Dialog sorgt für individuelle Interpretationen, neue Sichtweisen, spannende und humorvolle Momente. Das neue Angebot findet in der Gemeindebibliothek statt.

Text: Reni Bircher, Bild: zvg

Susanna Ricklin, seit vielen Jahren in der Bibliothek Richterswil tätig, hat sich 2018 bei «Shared Reading Deutschland» und Bibliosuisse zur Shared-Reading-Gruppenleiterin – dem sogenannten Facilitator – ausbilden lassen. In ihrer Funktion als Bibliothekarin sei sie immer wieder darauf angesprochen worden, wann sie einen eigenen Lesezirkel ins Leben rufe. Dieses Format habe sie aber nie richtig angesprochen: «Dass die Teilnehmenden vorgängig – quasi als Hausaufgabe – ein Buch lesen müssen und sich mit dem Autor beschäftigen, um dann in einer Runde das neue Wissen preiszugeben, das wollte ich nicht». In der Zeitschrift «Bibliosuisse Info» hat Ricklin dann etwas über Shared Reading gelesen und gewusst: Das ist es! «Es war ein grosses Glück für mich, dass ich mich im Pilotprojekt als Facilitator, als Leseleiterin, ausbilden lassen konnte», erklärt sie entschieden.

Kein Vorwissen nötig

Die Voraussetzungen sind für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer gleich: Es benötigt keine Grundkenntnisse, kein Vorwissen, keine Vorbereitung. Es geht einzig um das Zuhören, das Gehörte auf sich wirken lassen – und ganz ehrlich: wann wurde Ihnen das letzte Mal etwas vorgelesen? Wer danach Lust hat, darf sich zum Text äussern, es darf debattiert werden, jeder kann sagen, was er denkt und fühlt. Jeder darf, keiner muss, denn Shared Reading soll offen und unangestrengt anregend wirken und Freude bereiten. «Dies ist das bestechende Konzept, welches mich sofort fasziniert hat. Ich wollte nicht einen ambitionierten Literaturkreis ins Leben rufen, sondern die wohltuende Entfaltung von Texten und Wörtern fördern», erklärt die Bibliothekarin. Selbst wenn jemand sich noch nie an ein Buch gewagt hat, hier gilt: Wer zuhört, der gehört bereits dazu.
In den grossen Bibliotheken in Zürich, Bern, Chur, Zug, Luzern finden seit dem Pilotprojekt 2018 regelmässig Shared Readings mit grossem Erfolg statt. Susanna Ricklin war mehrfach als Teilnehmende dabei, hat selbst aber schon Anlässe in den Stadtbibliotheken Aarau und Chur geleitet sowie am Jahresanlass für Bibliohekarinnen und Bibliohekare in Solothurn quasi als Botschafterin für Shared Reading fungiert. Die Rückmeldungen waren durchweg positiv. Dort, wo das gemeinsame Lesen bereits seit längerem angeboten wird, gibt es bereits Stammpublikum. Ricklin wünscht sich, dass es in Richterswil auch mal soweit kommt.

Ursprung in England

Entstanden und entwickelt wurde das Shared Reading von Dr. Jane Davis. Sie führte 2002 an der Universität in Liverpool Kurse durch, welche das Lesen und die Kommunikation zwischen Lesenden und Text und den Dialog zwischen Lesenden über das Gelesene in den Mittelpunkt stellte. Die positiven Erfahrungen dort führte zu weitergreifenden Projekten, die «The Reader Organisation» wurde gegründet und der Begriff Shared Reading wurde zum Markenzeichen dieser Methode, Menschen aller Bevölkerungsschichten an Literatur heranzuführen. Inzwischen bestehen zahlreiche solcher Lese-Gruppen auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Infolge des Corona-Lockdowns hat Susanna Ricklin die fürs Frühjahr 2020 geplanten Sessions online via Videokonferenzplattform «Zoom» stattfinden lassen. «Auch diese aus der Not entstandene Variante war eine sehr bereichernde und schöne Erfahrung – sowohl für mich als auch für die Teilnehmenden». Ihrer Meinung nach unterstützen diese bezirksbezogenen Online-Leserunden im Rahmen einer Vernetzung das Projekt, Bibliotheken zu mehr Offenheit, Austausch und Begegnung zu bewegen.
«Ich freue mich aber darauf, die Treffen ab Oktober wieder am runden Tisch in den Bibliotheken Thalwil und Richterswil durchzuführen», erklärt die Bibliothekarin. Sollte es wegen Corona nicht möglich sein, ist sie aber auch durchaus bereit, das Format erneut online anzubieten. Obwohl die Philosophie von Shared Reading eigentlich keine Anmeldung verlangt – man soll sich auch spontan dazusetzen können –, muss man sich aufgrund der speziellen Situation nun für jedes gewünschte Datum anmelden, damit die Teilnehmerzahl bekannt ist. Auch am grossen Tisch in der Bibliothek soll der Abstand gewährleistet sein und die Zahl der Teilnehmenden somit begrenzt.n

Shared Reading in der Bibliothek Richterswil, Friedenstrasse 8
jeweils donnerstags von 19.30–21.00 Uhr:
22.10.; 5. und 19.11.; 3. und 17.12.; 14. und 28.1.2021; 11.2.2021
Anmeldung per Mail an:
shared-reading@gmx.ch
www.wortwelten.ch
www.shared-reading.ch

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