Allgemein Feuilleton History Wädenswil

Schweizer Geschichte süss erzählt 

Seit 180 Jahren werden in der Tirggelbäckerei Suter die Fladen mit süssem Honiggeschmack hergestellt. Ein Schönenberger Betrieb mit einer langen Tradition. 

Text: Ingrid Eva Liedtke, Bilder: zvg

1958 zog die Tirggelfabrik von Wädenswil nach Schönenberg. Sie ist aus Schönenberg nicht wegzudenken. Sogar der Weg, an dem das Fabrikgebäude steht, ist nach ihr benannt. 

Geschichte und Tradition

Die Geschichte des Biscuit-Suter nimmt ihren Anfang in einer Backstube in Wädenswil. Wussten Sie aber, dass die Geschichte des Tirggels zurückreicht bis in die Hochkulturen von Ägypten? Man hat Rezepte aus der Zeit Ramses III. gefunden. Das «Honig-Guetzli» breitete sich dann aus nach Griechenland und Rom und von da in die damals von den Römern besetzten Gebiete nördlich der Alpen.

Bei uns ist der Tirggel erstmals 1461 in Zürich aktenkundig. Da wurde er in klösterlichen Backstuben als Geschenk an Behörden und Kirchendiener zu Weihnachten und Neujahr gebacken. Auf den zahlreichen Abbildungen verewigte sich jedes Zeitalter. Die Gotik mit christlichen Motiven, die Renaissance mit Wappen und der Barock mit Heraldik-Abbildungen von Familien und Allianzen, wie auch in den bekannten Zunftmodeln zu Berufen und Ständen. Das Rokoko brachte Darstellungen von Trachten und Handwerkerberufen, und in der Biedermeierzeit schliesslich um 1840 erschien der Suter-Tirggel in Wädenswil auf der Bildfläche.

Frauenpower 

Der Gründer der Tirggelunternehmens bekam eine Mehlallergie, weshalb seine Frau Wilhelmine Suter das Backen übernahm, zuerst schwarz, bis dann 1840 der Kanton Zürich das Kontingent aufhob, dass nur ausgewählte Bäckereien Tirggel backen durften und der Tirggel legal produziert werden konnte. So nahm die Geschichte der Firma Biscuit-Suter ihren Anfang und erzählt auch von Frauenpower im 19. Jahrhundert. 

Der Tirggel-Teig, eine Mischung aus Honig, vier Prozent Zucker, Mehl, ein wenig Öl und «ein bisschen Geheimnis» − wie der jetzige Besitzer Carlo Magnano, schmunzelnd aufzählt – wurde damals noch von Hand auf einen geschnitzten Model ausgewallt und dann auf Kohle gebacken und noch am selben Tag verkauft. Mit dem Schiff wurden täglich Tirggel von der Seestrasse in Wädenswil an diverse Bäckereien in Zürich geliefert.

Das Familienunternehmen war bis 1972 im Familienbesitz der Suters. Dann verkaufte man mangels Erben an Peter Seibold und dieser wiederum 2008 an Carlo Magnano, den jetzigen Besitzer der «Tirggeli». Dieser erinnert daran, dass man noch immer Kundenbeziehungen pflege, die teilweise bis in die früheste Zeit zurückreichen, wie zum Beispiel mit der Kaffeerösterei H. Schwarzenbach oder dem Warenhaus Loeb in Bern. Auch die Zusammenarbeit mit Coop, Globus, Jelmoli und der Bäckerei Stocker sei schon Tradition. Seit Anbeginn sei es von grosser Bedeutung gewesen, diese Verkaufskanäle zu pflegen und zu fördern. 

Das Herzstück der Suter-Tirggel AG ist alt und ehrwürdig: «Wir arbeiten immer noch mit derselben Maschine», erklärt Magnano, und man merkt, mit wieviel Herzblut er sich dem Tirggel verschrieben hat. «Vor 120 Jahren wurde eigens eine Walzmaschine in England gekauft. Sie ist extra für Biskuit-Suter hergestellt worden, in einem Land, in dem die industrielle Revolution und die Entwicklung neuer Techniken in vollem Gange war. Die Walzen sind in Hartplastik geschnitzt. Es erfüllt einem schon mit Ehrfurcht, wenn man bedenkt, wie viele Menschen schon mit dieser Maschine gearbeitet haben.» 

Es ist diese alte, schöne Tradition, auf die auch der neue Besitzer setzt. «Ich finde es herzerwärmend, wenn mich am Weihnachtsmarkt ein 95 Jahre alter Mann anspricht und mir erzählt, dass schon sein Grossvater diese Tirggel liebte. Ich begegne immer wieder Leuten, die mir erzählen, wie viel ihnen der Tirggel bedeutet, wie sie als Kinder jeweils an die Fabriktür klopften um ein ‹Guetsli› zu erbetteln. Viele Emotionen und Erinnerungen stehen für dieses Produkt. Übrigens bekommen die Kinder auch heute noch ein Guetzli, wenn sie bei uns anklopfen.»

Der Tirggel ist 

ein Kulturgut

«Wir sind die einzigen Tirggelbäcker, die seit 180 Jahren diese Tradition pflegen. Tirggel ist Geschichte, ist eine Tradition, nicht nur ein Produkt. Gäbe es Biscuit-Suter nicht, gäbe es den Tirggel nicht mehr. Ich stelle fest, dass viele Zürcher den Tirggel nicht kennen, obwohl er ein Zürcher Traditionsgebäck ist. Darum ist es mir ein Anliegen, diese Tradition den Menschen wieder näher zu bringen. Der Tirggel soll so bekannt sein, wie es die Bündner Nusstorte oder das Basler Läckerli sind. Dazu brauchen wir gute Geschäftspartner, auch Verkaufsstellen in der ganzen Schweiz, aber schliesslich den Endverbraucher, der das Produkt kennt und liebt.»

Nach der Industrialisierung geriet der Tirggel in den Hintergrund, weil so viele gezuckerte Produkte auf den Markt kamen. Der Tirggel hatte keine Chance mehr. Jetzt setzt man wieder mehr auf natürliche Produkte. Alte Traditionen bekommen in unsicheren Zeiten wieder einen grösseren Stellenwert. Dies machen sich auch Firmen zunutze, die ihr Logo in Tirggelform verschicken möchten. 

«Momentan, in dieser Krisenzeit, haben wir zudem viele Anfragen von Menschen, die ihre Freunde oder Angehörigen schon lange nicht mehr gesehen haben. Wir verschicken für sie Dankeskarten mit einem Tirggel als Briefpost. Für Zürcher Zünfter haben wir Tirggelpost versandt als kleiner Ersatz für das ausgefallene Sechseläuten», so Carlo Magnano.

Wie geht es dem Unternehmen denn jetzt, in dieser globalen Krise? 

«Die Biscuit-Suter hat zwei Weltkriege und die spanische Grippe überlebt. Im zweiten Weltkrieg hatten wir zu wenig Marken für die Zutaten. Willy Suter musste ins Gefängnis, weil er Mehlmarken gefälscht hatte. Hätte er das nicht gemacht, hätte die Firma nicht überlebt. Jetzt, während Corona, haben wir alles, was wir zur Produktion brauchen, aber kaum Bestellungen! Die Läden, die Tirggel verkaufen, sind offen, machen aber keinen Umsatz. Seit Januar haben wir 70% weniger Einnahmen, und das wird sich wohl noch weiterziehen. Wir sind ein Kleinbetrieb und saisonabhängig. In der Saison von Juni bis Dezember arbeiten bis zu zwölf Leute hier, sonst nur vier. Momentan sind zwei Angestellte in Kurzarbeit. Aber wir haben zum Glück Reserven!»

In dieser «ruhigen» Zeit will der Firmenchef die Gelegenheit nutzen, um mit innovativen Ideen Verbesserungen vorzunehmen. Eine bessere Verpackungsmaschine ist bestellt und wird im Juni dieses Jahres geliefert. Optisch hat man die Verpackungen schon dem Zeitgeist angepasst. Das Personal wird aktuell geschult und auf die nächsten Monate vorbereitet. Rezepturen werden überprüft und mit neuen Geschmacksrichtungen ergänzt.

Der Tirggel ist dünner geworden. Seither sei er beliebter. «Viele Menschen wollen sich wieder bewusst ernähren. Weniger Zucker. Naturbelassen. Das gibt dem Tirggel neuen Aufwind», sagt Carlo Magnano mit einem überzeugten Augenzwinkern.

Tradition hat Zukunft und was schon unsere Grosseltern schätzten, kann auch uns das Leben versüssen. Darum bestelle ich mir schon einmal einen Satz Tirggel für den Weihnachtsbaum. Seit 180 Jahren haben sich die gleichen schönen Motive bewährt.   

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