In der ersten Mai-Woche hat der Bundesrat grünes Licht gegeben für die neue Standortstrategie von Agroscope. Gewinner ist die Westschweiz, Wädenswil verliert seinen Status. Aus der Forschungsanstalt von Weltruf wird so eine „dezentrale Versuchsstationª. Die meisten Arbeitsplätze wandern ab. Von vielen Seiten hagelt es harsche Kritik.
Text & Bilder: Stefan Baumgartner
Der Bundesrat hat am 8. Mai 2020 Detailkonzept und Umsetzungsplan zur Standortstrategie Agroscope verabschiedet und damit grünes Licht für die Umsetzung gegeben.
Mit der Reform strebt der Bundesrat eine Kostenreduktion bei Agroscope an, und mit den frei werdenden Mitteln soll die Forschung und der Wissensaustausch mit der Praxis gestärkt werden. Allerdings nicht mehr von Wädenswil aus. Agroscope wird künftig aus einem zentralen Hauptstandort in Posieux FR, je einem regionalen Forschungszentrum in Changins VD und Reckenholz ZH sowie aus dezentralen Versuchsstationen wie Wädenswil bestehen. Die Versuchsstationen werden anwendungs- und praxisorientierte Forschungsfragen im jeweiligen lokalen Kontext bearbeiten, dies in enger Verbindung mit der Landwirtschaft und mit Partnern in Aus- und Weiterbildung sowie Beratung. Dieses Konzept wurde im engen Austausch mit den Kantonen und Branchen entwickelt. Trotzdem sind weder Kanton Zürich noch Branchenverbände wie der Schweizer Bauernverband glücklich mit der Umsetzung.
Die wichtigsten Verschiebungen nach Changins betreffen die heute an den Standorten Wädenswil und Reckenholz angesiedelten grundlagenorientierten Forschungsaktivitäten im Pflanzenschutz.
Arbeitsplatzverschiebung in die Westschweiz und nach Reckenholz
Neu am Standort Reckenholz angesiedelt sind alle grundlagenorientierten Forschungstätigkeiten in der Pflanzenzüchtung, was die Verschiebung der entsprechenden Aktivitäten von Changins und Wädenswil nach Reckenholz nach sich zieht. Ebenfalls nach Reckenholz verschoben werden die heute in Wädenswil angesiedelten Aktivitäten der Extension Obst- und Gemüsebau.
Agroscope-Leiterin Eva Reinhard vermeldete noch im Januar im Interview mit der «Bauern-Zeitung», dass es eine Möglichkeit sei, die Versuchsstation «Obst und Beeren» in Wädenswil anzusiedeln – auch dies wird wohl nicht geschehen. Der Standort Wädenswil wird weitgehend aufgegeben und in Zukunft in die neue Versuchsstation bzw. das Kompetenznetzwerk Obst- und Beerenbau eingebunden.
Konkret werden sich am Standort Wädenswil die meisten der etwa 150 Beschäftigten umorganisieren müssen. «Das ist sehr bedauerlich», sagt Stadtpräsident Philipp Kutter auf der neuen Facebook-Seite der Stadt Wädenswil. Er sieht jedoch auch Lichtblicke, so bleibe der Standort erhalten und Teil des Kompetenznetzwerks «Obst und Beeren». Ausserdem prüfe der Bund den Aufbau eines neuen Zentrums für Lebensmitteltechnologie in Wädenswil. Dazu laufen Gespräche mit der ZHAW.
Als thematische Schwerpunkte stehen die Lebensmittelverarbeitung, die Lebensmittel- und Getränketechnologie sowie die Verpackung von Lebensmitteln zur Diskussion.
Standort mit Ausstrahlung
Trotzdem: Der Standort Wädenswil wird zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Hier, wo seit 1890 geforscht wird, wo Hermann Müller-Thurgau erster Direktor war. In den folgenden 110 Jahren bis heute entwickelte sich die Forschungsstation zu einer Institution von Weltruf. Die Erdbeere «Wädenswil 6» ist der Klassiker unter den Erdbeeren, die Apfelsorte «Diwa» wird von Produzenten wie Konsumenten gelobt. Dies sind nur zwei Beispiele von unzähligen Forschungs- und Züchtungserfolgen zum Wohl der Landwirtschaft. Das sollte nicht untergehen!
Andere Forschungsinstitute sowie Lehranstalten und Branchenverbände schätzen am Standort Wädenswil die Nähe zu Agroscope. So bedauert auch der Wädenswiler Lukas Bertschinger, Präsident des Stiftungsrat der Müller-Thurgau-Stiftung, den Entscheid: «Das Standortkonzept von Agroscope bewirkt einen grossen Kompetenzabfluss im Raum Wädenswil. Die Müller-Thurgau-Stiftung befindet sich zur Zeit im Aufbau mit dem Ziel, gemeinnützige Forschung und Entwicklung im Obst- Wein- und Gemüsebau und anderen Spezialkulturen zu fördern. Dabei nimmt sie aktuelle und künftige Herausforderungen in den Fokus, verbunden mit dem praxisorientierten Geist von Professor Hermann Müller-Thurgau und seinen Nachfolgern. Aktuelle, zukunftsweisende Themenbereiche sind beispielsweise gesunde Lebensmittel, nachhaltige Food Systeme, Stop Food Waste, Pestizidreduktion, Insektensterben, krankheitsresistente Sorten, Sortenvielfalt, Biodiversität, Ressourcenschonung, Kreislaufwirtschaft, gesunder Boden, Klimawandel und Digitalisierung. Die Stiftung will gezielt Projekte fördern, bei denen mehrere kompetente Partner interdisziplinär zusammenarbeiten, damit praxistaugliche, gemeinnützige Innovationen entstehen. Agroscope bleibt ein möglicher Projektnehmer in solchen Verbundprojekten. Aber es geht mit der neuen Standortstrategie von Agroscope ein überaus nützliches Synergiepotenzial vor Ort mit der nachbarschaftlichen ZHAW, Fructus (Verein für alte Obstsorten), dem Weinbauzentrum, dem Weinbaumuseum und weiteren Institutionen verloren. Das ist sehr bedauerlich. Die Aufbauarbeiten der Müller-Thurgau Stiftung werden dadurch aber nicht gebremst.»
Auch der Schweizer Bauernverband moniert in einer Mitteilung, dass der Beschluss früher gemachten Versprechen und Beschlüssen des Parlamentes zur Motion «Strukturelle Reformen bei Agroscope zugunsten der landwirtschaftlichen Forschung widerspreche. «Er untergräbt damit den gemeinsamen Willen, die einheimische Landwirtschaft nachhaltig weiterzuentwickeln und für die künftigen Herausforderungen fit zu machen.» Für ein Sparen bei der landwirtschaftlichen Forschung sei beispielsweise angesichts des Klimawandels oder des Insektensterbens «absolut nicht der richtige Zeitpunkt», führt der Verband weiter aus.
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In der ersten Mai-Woche hat der Bundesrat grünes Licht gegeben für die neue Standortstrategie von Agroscope. Gewinner ist die Westschweiz, Wädenswil verliert seinen Status. Aus der Forschungsanstalt von Weltruf wird so eine „dezentrale Versuchsstationª. Die meisten Arbeitsplätze wandern ab. Von vielen Seiten hagelt es harsche Kritik.
Text & Bilder: Stefan Baumgartner
Der Bundesrat hat am 8. Mai 2020 Detailkonzept und Umsetzungsplan zur Standortstrategie Agroscope verabschiedet und damit grünes Licht für die Umsetzung gegeben.
Mit der Reform strebt der Bundesrat eine Kostenreduktion bei Agroscope an, und mit den frei werdenden Mitteln soll die Forschung und der Wissensaustausch mit der Praxis gestärkt werden. Allerdings nicht mehr von Wädenswil aus. Agroscope wird künftig aus einem zentralen Hauptstandort in Posieux FR, je einem regionalen Forschungszentrum in Changins VD und Reckenholz ZH sowie aus dezentralen Versuchsstationen wie Wädenswil bestehen. Die Versuchsstationen werden anwendungs- und praxisorientierte Forschungsfragen im jeweiligen lokalen Kontext bearbeiten, dies in enger Verbindung mit der Landwirtschaft und mit Partnern in Aus- und Weiterbildung sowie Beratung. Dieses Konzept wurde im engen Austausch mit den Kantonen und Branchen entwickelt. Trotzdem sind weder Kanton Zürich noch Branchenverbände wie der Schweizer Bauernverband glücklich mit der Umsetzung.
Die wichtigsten Verschiebungen nach Changins betreffen die heute an den Standorten Wädenswil und Reckenholz angesiedelten grundlagenorientierten Forschungsaktivitäten im Pflanzenschutz.
Arbeitsplatzverschiebung in die Westschweiz und nach Reckenholz
Neu am Standort Reckenholz angesiedelt sind alle grundlagenorientierten Forschungstätigkeiten in der Pflanzenzüchtung, was die Verschiebung der entsprechenden Aktivitäten von Changins und Wädenswil nach Reckenholz nach sich zieht. Ebenfalls nach Reckenholz verschoben werden die heute in Wädenswil angesiedelten Aktivitäten der Extension Obst- und Gemüsebau.
Agroscope-Leiterin Eva Reinhard vermeldete noch im Januar im Interview mit der «Bauern-Zeitung», dass es eine Möglichkeit sei, die Versuchsstation «Obst und Beeren» in Wädenswil anzusiedeln – auch dies wird wohl nicht geschehen. Der Standort Wädenswil wird weitgehend aufgegeben und in Zukunft in die neue Versuchsstation bzw. das Kompetenznetzwerk Obst- und Beerenbau eingebunden.
Konkret werden sich am Standort Wädenswil die meisten der etwa 150 Beschäftigten umorganisieren müssen. «Das ist sehr bedauerlich», sagt Stadtpräsident Philipp Kutter auf der neuen Facebook-Seite der Stadt Wädenswil. Er sieht jedoch auch Lichtblicke, so bleibe der Standort erhalten und Teil des Kompetenznetzwerks «Obst und Beeren». Ausserdem prüfe der Bund den Aufbau eines neuen Zentrums für Lebensmitteltechnologie in Wädenswil. Dazu laufen Gespräche mit der ZHAW.
Als thematische Schwerpunkte stehen die Lebensmittelverarbeitung, die Lebensmittel- und Getränketechnologie sowie die Verpackung von Lebensmitteln zur Diskussion.
Standort mit Ausstrahlung
Trotzdem: Der Standort Wädenswil wird zur Bedeutungslosigkeit verkommen. Hier, wo seit 1890 geforscht wird, wo Hermann Müller-Thurgau erster Direktor war. In den folgenden 110 Jahren bis heute entwickelte sich die Forschungsstation zu einer Institution von Weltruf. Die Erdbeere «Wädenswil 6» ist der Klassiker unter den Erdbeeren, die Apfelsorte «Diwa» wird von Produzenten wie Konsumenten gelobt. Dies sind nur zwei Beispiele von unzähligen Forschungs- und Züchtungserfolgen zum Wohl der Landwirtschaft. Das sollte nicht untergehen!
Andere Forschungsinstitute sowie Lehranstalten und Branchenverbände schätzen am Standort Wädenswil die Nähe zu Agroscope. So bedauert auch der Wädenswiler Lukas Bertschinger, Präsident des Stiftungsrat der Müller-Thurgau-Stiftung, den Entscheid: «Das Standortkonzept von Agroscope bewirkt einen grossen Kompetenzabfluss im Raum Wädenswil. Die Müller-Thurgau-Stiftung befindet sich zur Zeit im Aufbau mit dem Ziel, gemeinnützige Forschung und Entwicklung im Obst- Wein- und Gemüsebau und anderen Spezialkulturen zu fördern. Dabei nimmt sie aktuelle und künftige Herausforderungen in den Fokus, verbunden mit dem praxisorientierten Geist von Professor Hermann Müller-Thurgau und seinen Nachfolgern. Aktuelle, zukunftsweisende Themenbereiche sind beispielsweise gesunde Lebensmittel, nachhaltige Food Systeme, Stop Food Waste, Pestizidreduktion, Insektensterben, krankheitsresistente Sorten, Sortenvielfalt, Biodiversität, Ressourcenschonung, Kreislaufwirtschaft, gesunder Boden, Klimawandel und Digitalisierung. Die Stiftung will gezielt Projekte fördern, bei denen mehrere kompetente Partner interdisziplinär zusammenarbeiten, damit praxistaugliche, gemeinnützige Innovationen entstehen. Agroscope bleibt ein möglicher Projektnehmer in solchen Verbundprojekten. Aber es geht mit der neuen Standortstrategie von Agroscope ein überaus nützliches Synergiepotenzial vor Ort mit der nachbarschaftlichen ZHAW, Fructus (Verein für alte Obstsorten), dem Weinbauzentrum, dem Weinbaumuseum und weiteren Institutionen verloren. Das ist sehr bedauerlich. Die Aufbauarbeiten der Müller-Thurgau Stiftung werden dadurch aber nicht gebremst.»
Auch der Schweizer Bauernverband moniert in einer Mitteilung, dass der Beschluss früher gemachten Versprechen und Beschlüssen des Parlamentes zur Motion «Strukturelle Reformen bei Agroscope zugunsten der landwirtschaftlichen Forschung widerspreche. «Er untergräbt damit den gemeinsamen Willen, die einheimische Landwirtschaft nachhaltig weiterzuentwickeln und für die künftigen Herausforderungen fit zu machen.» Für ein Sparen bei der landwirtschaftlichen Forschung sei beispielsweise angesichts des Klimawandels oder des Insektensterbens «absolut nicht der richtige Zeitpunkt», führt der Verband weiter aus.