Allgemein Richterswil

Todesstoss fürs öffentliche Telefon

Frei von gesellschaftlicher Stellung und Altersbegrenzung wurde das Publifon für Entschuldigungen bei Verspätungen, Liebesgeplänkel, Terminvereinbarung und als sozialer Treffpunkt genutzt. Jetzt ist es ein Relikt aus vergangenen Tagen.

(Bild: Telefonkabine in der Burghalden 1973)

Die meisten Leserinnen und Leser erinnern sich wohl noch wie es war: man beschritt die Kabine des öffentlichen Telefons, im Winter griff man mit klammen Fingern zum Hörer, im Sommer – je nach Standort – musste die Türe offenbleiben, weil man sonst fast einen Hitzschlag erlitt. Möglicherweise konsultierte man eines der Telefonbücher, welche dort in Reih und Glied festmontiert hingen, wuchtete es nach oben und breitete es über den anderen Telefonbüchern aus, um sich dann durch die Ortschaften und schliesslich die Namen zu kämpfen und zu hoffen, dass man den richtigen Hans Müller erwischt, bevor das Kleingeld ausgeht.

Möglicherweise wurde die Münze am Fernsprecher gerieben, weil sie der Einwurf immer wieder ausspukte, dann wurde sie sachte eingeworfen, ein weiteres Mal mit viel Schmackes, weil der Mindestbetrag noch nicht erreicht wurde und das Portemonnaie nicht mehr viel hergab, was man da sonst noch einwerfen könnte. Zwischendurch las man die mehr oder minder seriösen Nachrichten, die jemand hingekritzelt hatte oder beobachtete die Leute ausserhalb dieser vermeintlichen Privatsphäre, die einem die Telefonkabine kurzzeitig gewährte. Endlich tutete es dann im Hörer, und wurde am angerufenen Anschluss abgehoben, verschwand das Geld endgültig im Bauch des Münzfernsprechers und wartete auf Nachzahlung.

Nach ein paar Jahren wurde die Wählscheibe durch Knöpfe ersetzt, die Telefonbücher wurden immer weniger. An einem stark frequentierten Standort wie dem Zürcher Hauptbahnhof wurden die Münzeinwürfe durch Schlitze für Telefon- und später Kreditkarten ersetzt – was habe ich da schon gestanden und geschimpft mit meiner Münzsammlung und nicht aufzufindender «alter» Kabine. Als der Euro eingeführt wurde, fand sich nach und nach in Hauptbahnhöfen und Flughäfen wieder ein Publifon mit Möglichkeit für Münzen, auch Euros. Jetzt haben auch diese Multifunktionalisten ausgedient.

Zahlen und Fakten
Das erste Publifon wurde 1881 in Betrieb genommen und stand bei der Fraumünsterpost in Zürich. 1995 umfasste das Angebot landesweit über 58 000 Telefonkabinen bzw. -stationen, fünf Jahre zuvor hatte das Mobiltelefon seinen Durchbruch. Dass die Schweiz von dieser neuartigen Weise der nicht mehr standortgebundenen Kommunikationsmöglichkeit überflutet würde, das konnte man damals noch nicht voraussehen. 2013 wurde das absurde Verhältnis von 140 Mobilfunkanschlüssen auf 100 Einwohner verzeichnet. 

Nach und nach generierte ein weltweiter Rückgang der Fernsprechanlagen. Als 2007 der Durchbruch des mobilen Internetzugangs gelang, veränderte sich das Kommunikationsverhalten noch ein weiteres Mal. In der Folge ging der Bestand der Publifone in öffentlichen Einrichtungen, Hotels und Restaurant von über 45 000 auf unter 3000 zurück, immer mehr Kabinen entfielen aus der Grundversorgungspflicht *. Weltweit wird das öffentliche Telefon nicht mehr weiterentwickelt, der Unterhalt wird teuer, Ersatzteile rar. Das Mobiltelefon hat das Publifon innert wenigen Jahren überflüssig gemacht. Mancherorts fand oder findet noch eine Umnutzung statt, zum Beispiel als Büchertauschbörse, Snack- und Getränkeautomat oder beherbergen einen Defibrillator (vor allem im Tessin) und hauchen den Häuschen damit neues Leben ein. Ein paar dieser Ideen wurden hier gesammelt: https://magazin.swisscom.ch/gewinner-innen-wettbewerb/

Aus und vorbei
Auf dem Gemeindegebiet Richterswil-Samstagern gab es zehn Publifone, deren Rückbau 2010 begann. Zuerst wurden Standorte geschlossen, die nicht der Grundversorgung unterlagen. Die letzte Kabine stand bei der Post Richterswil und wurde am 7. November 2018 geschlossen und demontiert. Umgenutzt wurde keine der Telefonzellen. Am gleichen Tag wurde die letzte der ehemals 21 öffentlichen Telefonzellen in Wädenswil geschlossen; diese befand sich neben dem Swisscom-Shop. Auch in Wädenswil gab es keine Umnutzung.

Mit dem Verschwinden der Telefonzellen ging auch ein Stück Ruhe und Privatsphäre verloren. Wer im ÖV oder Restaurant sitzt, der weiss bald Bescheid darüber, wer wo einen wirklich üblen Pickel hat, wieviel Arbeitslosengeld jemand bekommt und muss sich fremdschämen, während eine unbekannte Person am Handy das Gegenüber anschreit und die Beziehung beendet. Dabei könnte man das alles auch auf Twitter oder Instagram nachlesen … (rb)

* Bis Ende 2017 war die Swisscom als Erbringerin der Grundversorgung im Schweizer Fernmeldebereich verpflichtet, in jeder Gemeinde mindestens ein Publifon zu betreiben. Im Einverständnis mit der Gemeinde konnte bereits früher auf diese Pflicht verzichtet werden. 

Aufruf an unsere Leserschaft: Erzählen Sie uns Ihre Telefon-kabinen-Geschichte!

Sie haben etwas Besonderes erlebt, gefunden oder erfahren in einer Telefonkabine? Waren der erste oder letzte Besucher in einer solchen? Dann schreiben Sie uns, wir möchten das gerne mit unseren Leserinnen und Lesern teilen. Senden Sie eine Mail an reni.bircher@waedenswiler-anzeiger.ch oder Post an Verlag Wädenswiler Anzeiger, Schönenbergstr. 17, 8820 Wädenswil.  Vergessen Sie Ihren Namen und Adresse nicht (nur Name wird veröffentlicht, auf Wunsch auch nur die Initialen). Wir freuen uns auf Ihre Geschichte!


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