Kolumne Wädenswil

Ein schöner Akt nachbarschaftlicher Solidarität

Seit 1961 wohnt das Ehepaar Baumann in ihrer Genossenschaftswohnung an der Waisenhausstrasse. Wegen einer Erkrankung von Heinrich Baumann schien ein Umzug notwendig – doch dank der Solidarität der Nachbarn und der Mieter-Baugenossenschaft Wädenswil kam es anders.

Sie gehörte zu den ersten Bewohnern der neuerbauten Genossenschaftssiedlung an der Waisenhausstrasse, als die Familie Baumann 1961 einzog. Das Ehepaar Baumann zog 3 Kinder in dieser Wohnung gross und geniesst nun den Ruhestand und Lebensabend zu zweit. Das Quartier und die zum Teil ebenfalls langjährigen Mitbewohner sind ihnen in all den Jahren ans Herz gewachsen.
Doch ein Schicksalsschlag hätte das Leben der beiden auf den Kopf stellen können: Vermutlich war ein Beinbruch, den der pensionierte Chauffeur in den Bergen erlitt, Auslöser für die heimtückische Krankheit, die ihn heute quält. Lange wusste Heinrich Baumann nicht, wieso ihm Treppensteigen seit dem Unfall immer mehr Mühe macht, bis die Diagnose «ALS» gestellt wurde: Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) zählt zu den Erkrankungen des zentralen Nervensystems und verläuft chronisch wie auch fortschreitend. Bei ALS handelt es sich um eine Schädigung der motorischen Nervenzellen im Rückenmark und im Gehirn. Die Folgen dieser Störung sind Muskelschwäche, Muskelschwund sowie Versteifung der Muskeln. Dies führt dazu, dass bei fortgeschrittener ALS die betroffenen Muskeln kaum mehr Bewegungen ausführen können. Eine charakteristische Eigenschaft der Krankheit ist, dass sie sich auf die benachbarten Muskelregionen ausbreitet. Dies betrifft sowohl die angrenzenden Regionen wie auch jene auf der gegenüberliegenden Körperseite. Die Symptome breiten sich mit sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit aus. Im fortgeschrittenen Stadium beeinträchtigt ALS auch die Atemmuskulatur, was die Sauerstoffversorgung der Betroffenen beeinträchtigt.
Der heute 87-jährige Heinrich Baumann konnte sich nur noch schwer alleine fortbewegen, zuerst halfen Krücken, heute sind es ein Rollator für drinnen und ein elektrischer Rollstuhl für draussen, die ihm ein Fortbewegen ermöglichen. Trotzdem war mit dem Verlauf der Krankheit klar, dass Treppensteigen für Heinrich Baumann nicht mehr möglich war – und das über 50-jährige Haus hatte keinen Lift. Das Ehepaar sah sich schweren Herzens nach etwas Neuem um. Trudi Baumann meint: «Ich habe bereits begonnen zu packen und den Estrich geräumt». Da bemerkte sie, dass auch die langjährigen Nachbarn nicht wollten, dass das Ehepaar noch ein neues zu Hause suchen muss. Ein Treppenlift war jedoch die einzige Möglichkeit, die Heinrich Baumann helfen würde, im Haus wohnen bleiben zu können. So erkundigte sich Trudi Baumann nach einer Offerte für einen Treppenlift und fragte bei der Verwaltung der Mieter-Baugenossenschaft nach, ob der Einbau eines Treppenliftes überhaupt möglich sei.
In der Folge trafen sich sechs Parteien sowie der Geschäftsführer der Mieterbaugenossenschaft in der Wohnung der Baumanns zur Besprechung und Auslotung von Möglichkeiten. Was an diesem Abend beschlossen wurde, ist denkwürdig und ein bestes Beispiel nachbarschaftlicher Hilfe und Solidarität: die Mieterbaugenossenschaft beschloss, den Einbau eines Treppenliftes zu veranlassen und vorzufinanzieren. Das Ehepaar Baumann sowie solidarisch fünf weitere Parteien im Haus zahlen seither einen Sonderbeitrag von 20 Franken monatlich zusammen mit ihrem Mietzins. So kann Heinrich Baumann mit seiner Frau nach wie vor in der gewohnten Umgebung leben, geniesst die Ausflüge in die Umgebung mit seinem Rollstuhl. Und kürzlich nun konnte das Paar die Diamantene Hochzeit feiern: 60 Jahre verheiratet, davon 54 Jahre glücklich in ihrem Heim an der Waisenhausstrasse.

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