Wädenswil

Bücher für Nicaragua

Bertold Brecht (1898–1956) fand zeit seines Lebens nie wirklich ein Zuhause. Getrieben von unruhigen Zeiten, zog er in der ganzen Welt herum. In Nicaragua fand sein Geist einen fixen Platz im Projekt «Biblióbus Bertold Brecht», das im März 2012 sein 25-Jahr-Jubiläum feierte.

Frühmorgens rüstet Reybil Curesma, der Fahrer des Biblióbus «Bertold Brecht» und gleichzeitiger Bibliothekar, Aufpasser, Mechaniker und gute Seele für alle Problemchen, die Bücher in der «Deutsch-Nicaraguanischen Bi­blio­thek» in Managua für die anstehende Tour des Tages. Er ist schon seit Beginn des Projektes mit dabei, das vor 25 Jahren von der deutschen Bibliothekarin Elisabeth Zilz ins Leben gerufen wurde.
Um 06:30 Uhr geht es los mit dem 1995 gekauften Kleinlastwagen, der in aufwändiger Handarbeit zum Bibliotheksbus umgebaut wurde. Die Fahrt geht zuerst in Richtung Granada, der drittgrössten Stadt in Nicaragua die im Südosten von Managua liegt. Die ersten 50 km kommt das vierköpfige Team im Biblióbus auf den breiten asphaltierten Strassen zügig voran. Kurz vor Granada biegt der Bus rechts ab ins südwestlich gelegene Hinterland, das sich in die grünen Täler zwischen den Vulkanbergen ausbreitet. Auf den holprigen Naturstrassen ist ein Fortkommen schwierig und erfordert die volle Aufmerksamkeit von Reybil Curesma. Die ihn begleitende deutsche Volontärin Sophia Tepper, die während eines Jahres im Projekt mitarbeitet, beschreibt den Zustand der Strassen als «ganz passabel». «Wenn es in der Nacht geregnet hat,» erklärt sie, «ist ein Durchkommen manchmal kaum mehr möglich».
Nach knapp einer Stunde Fahrt ist die erste Schule erreicht. In einfachen Schulzimmer mit Wellblechdach und fensterlosen Öffnungen in den Wänden sitzen bis zu 40 Kinder auf selbstgezimmerten Stühlen und kleinen Bänken und trotzen der schwülen Hitze. Unterrichtet wird von Morgens 10 Uhr bis Mittags 14 Uhr. Die Kinder sind bis zu einer Stunde zu Fuss unterwegs und müssen am Nachmittag vor dem grossen Tropenregen wieder zuhause sein.
In dieser gedrückten Stimmung kommt der Biblióbus gerade recht. Er bringt etwas Abwechslung in den Alltagstrott des Schülerdaseins. Klasse um Klasse stellt sich unter der heissen Sonne in Reih und Glied, um jeweils zu fünft in den Bus herein zu dürfen. Nach kurzer Zeit kommen sie mit strahlenden Gesichtern und einem Buch in den Armen wieder heraus und machen Platz für die nächsten fünf. Sofort wird mit Lesen begonnen, oder die ausgewählten Bücher werden ausgiebig mit denen der Kameraden verglichen. «Die Kinder sind so diszipliniert», erklärt Sophia Tepper, «dass kaum je ein Buch verloren geht». Bis der Bus in einem Monat wieder kommt wird jedes der ausgeliehenen Bücher von drei bis vier Kinder gelesen sein. Dem entsprechend «vergriffen» sehen die Bücher schon nach kurzer Zeit aus und müssen ausgewechselt werden.

Bücher aus der Frankfurter Buchmesse

Für den Nachschub sorgt Elisabeth Zilz, die inzwischen 89-jährige Initiantin des Projektes. In Deutschland besucht sie jedes Jahr die Frankfurter Buchmesse und bittet die spanischen Verlage, ihre Ansichtsexemplare und Remittenden am Ende der Messe ihr zu überlassen. So kommt jährlich eine schöne Zahl von neuen Bücher zusammen, die in einem Container nach Managua verschifft werden. In Nicaragua angekommen, sorgt die Deutsch-Ni­ca­ra­gua­ni­sche Bibliothek seit 1993 für die Aufbereitung und Verwaltung der Bücher. Zuvor führte diese Arbeit die Handbuchbinderei «Sophia Scholl» in Managua aus. Doch schnell einmal überstieg die zunehmende Zahl von Bücher ihre Kapazitäten. Die Buchbinderei ist heute noch in Betrieb und hilft bei der Restaurierung der Bücher.
Bis 2001 mietete sich die Bibliothek in den Räumen der Friedrich-Ebert-Stiftung in Managua ein, bevor sie in ihre eigenen Räume im Stadtteil «Linda Vista» umziehen konnte. Auf 463 Quadratmeter finden neben den Lagerräumen für den inzwischen 14 000 Bücher umfassenden Bestand, auch ein fast bescheiden wirkender Ausleihschalter, der Lesesaal für 65 Benutzer, eine in diesem Jahr neu dazu gekommene Internet-Ecke und die Büroräume für die Verwaltung platz.
Heute besuchen jeden Tag durchschnittlich mehr als 150 Kinder und Jugendliche die Bibliothek und machen mit Hilfe der ausgeliehenen Bücher ihre Schulaufgaben, bereiten sich auf Prüfungen vor oder lesen und basteln im Kindersaal. Auf diese Art kann der Mangel an fehlenden Schulbücher wenigstens für einen Teil der Schulkinder ausgeglichen werden.
Die Deutsch-Ni­ca­ra­gua­ni­sche Bi­blio­thek ist die einzige Bibliothek im Lande und weit darüber hinaus, die einen umfassenden Bestand deutscher Literatur in spanischer Sprache führt, bestehend aus Belletristik, Philosophie, Psychologie, Religion, Geschichte, Biographien, Jugendliteratur und anderen Sachbuchthemen.

Weiterer Ausbau dank Wädenswiler Unterstützung

Für den weiteren Ausbau der Bibliothek spendet das Projekt «Buchstationen» des Buch-Antiquariats «Buch und Bild» aus Wädenswil einen festen Anteil des jährlichen Erlöses aus dem Verkauf von gelesenen Bücher, die in über 100 Freiluft- und Hallenbäder in der Schweiz ausgestellt sind. Im Sommer vergangenen Jahres konnten für die Beschaffung von geeigneten Tischen und Stühlen zur Einrichtung eines Kindergartens von Alice und Beat Siegrist, den Betreibern des Buch-Antiquariats, 1 500.00 US-Dollars an die Bibliothek in Managua übergeben werden. Sophia Tepper meint dazu: «Wir sind dankbar für jede Spende, um mit dem weiteren Ausbau der Infrastruktur der Bibliothek fortfahren zu können, zumal wir selber keinerlei Einkommen generieren».
Auf seiner Tour in den Süden Nicaraguas hat Reybil Curesma, der Fahrer des Biblióbuses, auch die zweite Schule in der Region mit neuem Lesestoff versorgt und ist auf dem Rückweg zur Schnellstrasse.
Doch noch steht ein Stopp bei einer mittelgrossen Landbäckerei an. Die An­ge­stell­ten der Bäckerei unterbrechen kurz ihre Produktion der typischen nicaraguanischen «Panes» und tauschen die vor einem Monat ausgeliehenen Bücher gegen neue aus. Extra für diesen Zweck hat Reybil Curesma auch einige Bücher für Erwachsene mitgebracht. Im Gegenzug deckt sich das Bus-Team mit frischem Brot für das Abendessen ein.
Nähere Informationen zu den beschriebenen Projekten in der Schweiz und Nicaragua sind erhältlich beim Buch-Antiquariat Buch und Bild, Beat E. und Alice Siegrist, 8820 Wädenswil, e-Mail: info@buchundbild.ch.rws

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