Wädenswil

Von der Natur überlistet

Hermann Müller aus dem thurgauischen Tägerwilen war der erste Direktor der neugegründeten Forschungsanstalt Wädenswil, der heutigen Agroscope Changins-Wädenswil und züchtete hier den (vermeintlichen) Riesling × Sylvaner, die erfolgreichste Neuzüchtung der Weinwelt.

Hermann Müller war ein Schweizer Pflanzenphysiologe, Botaniker, Önologe und Rebzüchter. Er nannte sich nach seinem Heimatkanton Müller-Thurgau. Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet «Müll.-Thurg.».

Müller stammte aus einer Bäcker- und Winzerfamilie, sein Vater war weit herum als «Büürlibeck» bekannt.
Hermann Müller besuchte zunächst das Lehrerseminar in Kreuzlingen bei Konstanz und wurde bereits 1869 Lehrer in Stein am Rhein. Anschliessend studierte er am Polytechnikum in Zürich, der heutigen ETH, wo er im Herbst 1872 mit dem Fachlehrer-Diplom für Naturwissenschaften abschloss.
Nach Studium an der Universität Neuenburg wechselte er 1872 auf Einladung des zu dieser Zeit bestbekannten Pflanzenphysiologen Julius Sachs an das damalige Botanische Institut der Universität Würzburg. Dort promovierte Müller 1874 mit dem Prädikat «Summa cum laude» und arbeitete weitere zwei Jahre als Sachs‘ Assistent.

Berufung nach Wädenswil

Von 1876 bis 1890 arbeitete er als Leiter des neu geschaffenen Institutes für Pflanzenphysiologie an der Preussischen Lehr- und Forschungsanstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau in Geisenheim. Bereits dort beschäftigte er sich mit der Kreuzung von Traubensorten.
1891 erhielt er eine Berufung an die deutschschweizerische Versuchsstation für Obst-, Wein- und Gartenbau in Wädenswil, die heutige Agroscope Changins-Wädenswil (ACW), deren Leitung er übernahm.
Müller ist heute vor allem bekannt durch die nach ihm benannte Rebsorte Müller-Thurgau, die er als Züchtung aus den Sorten Riesling und Silvaner vorstellte.

Erfolgreichste Neuzüchtung

Aus Geisenheim liess er sich 1891 an die 150 der wertvollsten Sämlinge nachschicken, aus denen später die Müller-Thurgau selektiert wurde. 1894 wurden die ersten zwei Reben des Sämlings Nr. 58 angepflanzt. Müller wurde dabei durch Heinrich Schellenberg (1868-1967) unterstützt. Eine Neuzüchtung, die von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Obst- und Weinbau in Wädenswil vervollkommnet wurde.
Als «Mutter» wurde Riesling und als «Vater» Silvaner angenommen. Deshalb auch die Synonyme Riesling × Silvaner, Rivaner, Thorkes, Rizling-Szilváni etc. Müller lehnte es immer ab, die neue Rebe Müller-Thurgau zu nennen. Aus diesem Grunde wird die Traube in der Schweiz immer noch mehrheitlich unter Riesling × Silvaner geführt. Erst nachdem der bayerische Züchter August Dern (1858-1930) um 1913 die Rebe in Deutschland einführte, erhielt sie den Sortennamen Müller-Thurgau.
Schon Hermann Müller selbst war skeptisch gegenüber der Elternschaft. Es wurden später immer mehr Zweifel an der Kombination Riesling × Silvaner laut. Die Kreuzung liess sich nie wieder nachvollziehen. Eine Zeit lang nahm man sogar eine Selbstkreuzung Riesling × Riesling an.

Chasselas war‘s, kein Silvaner

Dr. Ferdinand Regner von der Klosterneuburger Weinbauschule in Österreich klärte den Sachverhalt 1998 mit einer gentechnischen Untersuchung. Dabei stellte sich heraus, dass zwar Spuren von Riesling erkennbar sind, aber das Erbmaterial von Silvaner fehlte. Anstatt dessen wurde Chasselas als möglicher Vater-Kandidat festgestellt. Und Wissenschaftler der Deutschen Bundesanstalt für Züchtungsforschung im pfälzischen Siebeldingen konnten den Ahnennachweis noch verfeinern. Sie erkannten die Rebsorte Madeleine Royal als Vater. Eine Züchtung aus dem Formenkreis des Chasselas (Gutedel).

Auch wenn hier Hermann Müller von der Natur überlistet wurde: Sein Werken und Wirken für die Forschung auf dem Gebiet des Rebbaus war wegweisend.
Weiter arbeitete Hermann Müller an bahnbrechenden Forschungsarbeiten auf den Gebieten Physiologie der Rebe (unter anderem zur Blütenbiologie sowie zu Assimilations- und Stoffwechselvorgängen), zur Phytopathologie der Reben (vor allem am Falschen Mehltau, an der Botrytis, Roter Brenner). Müller erkannte und erforschte als erster die Zusammenhänge zwischen Klimaeinflüssen und Ruheperioden bei Reben, Blumenzwiebeln und Obstbäumen.

Im Kellereiwesen erforschte er Möglichkeiten zur Steuerung der alkoholischen Gärung, den biologischen Abbau von Säuren sowie Fehlentwicklungen bei Gärung und Reifung des Weins. Er züchtete Gärhefestämme mit speziellen Eigenschaften und arbeitete an Methoden zur Herstellung alkoholfreier Traubensäfte. Auf Anregung seines Freundes Auguste Forel, einer der wichtigsten Vertreter der Abstinenzbewegung in der Schweiz, weitete Müller diese Versuche auch auf Methoden zur Herstellung unvergärter Obstsäfte, insbesondere von Apfel- und Birnensäften, aus. Müller gilt weltweit als Pionier auf dem Gebiet der unvergorenen pasteurisierten Fruchtsäfte.
Müller war in seiner Freizeit aktiv im Schweizer Alpen-Club. Mit seiner Ehefrau Bertha Biegen aus Oestrichim Rheingau, die er 1881 heiratete, hatte er drei Töchter. Der Ehemann seiner ältesten Tochter wurde sein Nachfolger in Wädenswil.

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